Psychische Erkrankungen sind die zweithäufigste Ursache für Krankheitstage im Beruf. Die Potsdamer Resilienz- und Achtsamkeitstrainerin Ann Hillert erklärt, wie man seine Widerstandskraft stärken kann, damit es gar nicht erst so weit kommt.

 

Potsdam. Dichtes Arbeitsvolumen, Überstunden, ständige Erreichbarkeit, immer wieder neue Aufgaben und Abläufe, fehlende Wertschätzung vom Management, Konflikte im Team: Stress im Job kann physisch und psychisch krank machen. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. sind psychische Erkrankungen die zweithäufigste Ursache für Krankheitstage im Beruf und der häufigste Grund für Frühverrentungen. Was kann der Betroffene tun, damit es nicht so weit kommt?

 

Resilienz ist trainierbar

Einen Ansatz umschreiben Psychologen mit dem Begriff der Resilienz (von lateinisch resilire ‚zurückspringen‘, ‚abprallen‘), der ursprünglich aus der Physik stammt und Mitte des 20. Jahrhunderts von dem US-Amerikaner Jack Block erstmals in der Psychologie verwendet wurde. „Resilienz ist die Fähigkeit, mit unterschiedlichsten Herausforderungen, Problemen und Krisen flexibel umgehen zu können und dabei mental und physisch gesund zu bleiben“, erläutert die Potsdamer Resilienz- und Achtsamkeitstrainerin Ann Hillert. Die gute Nachricht ist: Resilienz kann trainiert werden.

 

Mehrere Faktoren beteiligt

Es gibt eine ganze Reihe von Faktoren, die die Resilienz eines Menschen bestimmen, und viele sich ähnelnde Resilienzkonzepte. Ann Hillert, die mit Ihrem Unternehmen Perspektivwechsel Potsdam auch Karriereberatung und Jobcoaching anbietet, unterstützt Unternehmen und Einzelpersonen in Resilienzseminaren und -Coachings. Dabei arbeitet sie unter anderem mit folgenden sieben wichtigen Faktoren zur Stärkung der individuellen Resilienz: Akzeptanz, Optimismus, Lösungs- und Zielorientierung, Bindung, Selbstwahrnehmung, Selbstreflexion, Selbstwirksamkeit. „Bei der Selbstwahrnehmung geht es zum Beispiel darum, wie ich körperliche Signale wahrnehme und darauf reagiere. Bei Kopfschmerzen kann ich entweder eine Tablette nehmen und am Arbeitsplatz weiter durchziehen. Oder ich mache eine Pause, gehe ein paar Minuten an die frische Luft und nehme dabei bewusst ein paar tiefe Atemzüge“, erläutert Ann Hillert.

 

Schutz- und Risikofaktoren erkennen

„Um Menschen zur Stärkung der eigenen Resilienz in die Selbstwirksamkeit zu bringen, erarbeite ich zusammen mit meinen Klienten Handlungsoptionen für deren individuelle Situationen“, erklärt die Resilienztrainerin. „Dabei schauen wir ganz genau: Was sind die Schutz- und was sind die Risikofaktoren im beruflichen und privaten Umfeld?“ Zu den Schutzfaktoren zählt alles, was unterstützend wirkt. Das kann beispielsweise ein Sportkurs sein, der Spaziergang mit dem Hund oder ein Plausch mit netten Kollegen. Diese gilt es transparent zu machen und zu stärken. „Schutzfaktoren sind aber auch eine warme Wohnung und der volle Kühlschrank – all die Ressourcen, die wir normalerweise als selbstverständlich erachten“, so Ann Hillert mit Blick auf die aktuelle Situation in der Ukraine.

Risikofaktoren sind all die Dinge, die uns Kraft kosten. Das können für den einen der Lärm und die Unruhe eines Großraumbüros sein, einem anderen wiederum schlägt die Nachrichtenlage immens auf den Magen. Wenn Schutz- und Risikofaktoren über einen längeren Zeitraum aus dem Gleichgewicht geraten, dann kann es kritisch für die körperliche und psychische Gesundheit werden. Nimmt man das wahr, sollte man etwas ändern und sich gegebenenfalls Unterstützung suchen.

 

Fünf Minuten Meditation pro Tag

Risikofaktoren sind sehr oft im beruflichen Kontext zu finden. Hierbei kann es hilfreich sein, seine innere Haltung zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern. „Hat meine Führungskraft beispielsweise ein großes Kontrollbedürfnis, kann ich versuchen, mich in sie hineinzuversetzen und eine Erklärung dafür zu finden. Meist steckt ein großes Sicherheitsbedürfnis dahinter“, erläutert Ann Hillert. Das zu erkennen und mit einer wohlwollenden Grundhaltung zu akzeptieren, kann schon ein wichtiger Schritt im Aufbau der eigenen Resilienz sein. Eine solche Haltung einzunehmen ist ganz sicher nicht leicht, stärkt aber das Immunsystem, macht zufriedener und kann erfreulicherweise trainiert werden. „Ich als Achtsamkeitstrainerin empfehle dafür unter anderem gezielte Achtsamkeitsübungen und Meditation“, so der Coach. Schon fünf Minuten täglich, zum Beispiel kurz vor dem Einschlafen, können nachhaltig zu einer Veränderung in den Gehirnstrukturen führen. „Und zur Akzeptanz zählt natürlich auch die Selbstakzeptanz. Nur wenn ich mir selbst mit Wohlwollen begegne, kann ich das auch anderen Menschen gegenüber“, ergänzt Ann Hillert.

 

Stressfaktoren im Job ansprechen

Erweist sich bei der Analyse der Schutz- und Risikofaktoren tatsächlich der Job als größter Stressfaktor, plädiert Ann Hillert dafür, dies transparent zu machen und konkrete Belastungs- und Konfliktsituationen im Betrieb anzusprechen und nach Lösungen zu suchen. Das können neben Teamentwicklungsmaßnahmen auch Möglichkeiten des betrieblichen Gesundheitsmanagements sein. Viele Unternehmen bieten heutzutage diverse Möglichkeiten dafür an. Brandenburgische Arbeitnehmer haben außerdem Anspruch auf Bildungsfreistellung, die sie auch für gesundheitliche Weiterbildungen wie ein Resilienztraining oder einen Entspannungskurs nutzen können.

 

Letzter Ausweg: Kündigung

Als letzter Schritt bleibt noch immer die aktive Suche nach einem neuen Arbeitsplatz, um sich aus einer als toxisch empfundenen Umgebung zu befreien. „Diese Entscheidung sollte gut abgewogen werden“, so Ann Hillert, „aber ich bin überzeugt, ein Arbeitswechsel als letzter Ausweg sollte immer dann in Erwägung gezogen werden, wenn die eigene Gesundheit und innere Balance in Gefahr sind. Denn auch das ist ein Akt zur Stärkung der eigenen Resilienz.“

Von Maria Kröhnke, Märkische Allgemeine Zeitung